Leonhard Strässl lebte im 18. Jahrhundert als Tagelöhner in Schnaittach. Er gehört zu den vielen „kleinen Leuten“, von denen nicht viel überliefert ist – und doch kann er stellvertretend als Beispiel echter Frömmigkeit gelten. Das wird bei der Betrachtung der Zeitumstände klar.
Strässl lebte in der Phase zwischen dem 30-jährigen Krieg und der Aufhebung der geistlichen Fürstentümer. Die kurbayerische Herrschaft Rothenberg mit dem Hauptort Schnaittach war aufgrund seiner strategisch günstigen Lage vor Nürnberg von Kurfürst Karl Albrecht dazu ausersehen worden, eine Festung nach neuestem französischen Vorbild zu erhalten. 19 Meter hohe Mauern sollten ein Areal zwischen sechs Bastionen umfassen und durch die umlaufenden Kasematten sollte das Bauwerk auf dem Rothenberg in seiner gesamten Außenfront unterirdisch erschlossen werden. Zum Schutz der Bevölkerung wurde eine große unterirdische Halle geplant. 1731 legten der Kurfürst und seine Frau persönlich die Grundsteine für die Bastionen und Kasernen. Die Oberaufsicht über die gigantische Baustelle hatte Ingenieuroberst Peter de Coquille inne. Es dauerte nicht lange, und die Baustelle war überall in Bayern bekannt.
Auch in dem kleinen oberpfälzischen Ort Klingen bei Hemgau war das kurfürstliche Projekt bekannt. Hier machte sich der Tagelöhner Leonhard Strässl 1729 auf den Weg zum Rothenberg. Seine Hoffnung auf Arbeit und Lohn im Dienste des Wehrbaus sollte sich erfüllen – der Vorarbeiter, der für die Musterung der Bauarbeiter zuständig war, stellte ihn ein. Mit ihm erlebten noch viele Arbeiter die Veränderungen des Rothenberger Landes im konfessionellen Zeitalter.
Bereits Kurfürst Maximilian, der Vater von Karl Albrecht, sah es als seine Pflicht an, die Bevölkerung in seinen Landen zu rekatholisieren. Der Rothenberg und sein Landgebiet als Außenposten der oberen Pfalz schienen ihm dabei von besonders großem Interesse. Hier war er sich auch mit dem Bamberger Fürstbischof Johann Gottfried von Aschhausen einig, unter dem sich das Hochstift Bamberg der katholischen Liga Maximilians anschloss. Am 27. Mai 1628 erschienen deshalb Generalvikar Friedrich Förner und ein Bamberger Fiskal in den Rothenberger Pfarreien und verboten den evangelischen Gottesdienst – ein Unternehmen, dessen Umsetzung Jahre dauern sollte.
Leonhard Strässl trafen diese Maßnahmen weniger – war er doch katholisch. Vielmehr beeindruckt haben den Tagelöhner wahrscheinlich die katholischen Bruderschaften, die seine Lehensherren als Instrument zur Förderung der katholischen Volksfrömmigkeit nach Kräften unterstützten. Die Bruderschaften mit ihren Mitgliedern aus allen Schichten der Gesellschaft waren die wichtigsten Träger der nachtridentinischen Bekenntnisfrömmigkeit, waren per Gesetz an die Kirche gebunden und nahmen Aufgaben in der Seelsorge wahr. So trugen sie maßgeblich zur Stärkung der Volksfrömmigkeit bei. Auch in Schnaittach hatten sich um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert drei Bruderschaften gegründet. Entscheidend für das religiöse Leben in Schnaittach war die Corporis-Christi-Bruderschaft. Ihre Mitglieder organisierten die feierliche Ausrichtung des Fronleichnamsfestes und der –prozession sowie die Gestaltung des Karfreitags. Die Bruderschaften kümmerten sich auch um die Opferstöcke am Siechenberg und an der Kapelle auf der Creutzwiese.
Daneben gab es noch die Jesuiten, die sich besonders der Seelsorge verschrieben hatten und die Gläubigen durch eindrucksvolle Gottesdienste mitrissen. Ihr Engagement war sehr sozial ausgerichtet, was sich an der Armenspeisung und dem Dienst an den Armen zeigte. Überall im Bistum Bamberg führten die Jesuiten Volksmissionen durch. Im Rothenberger Land waren die Jesuiten beispielsweise 1716 und 1717.
Das Wirken der Bruderschaften und der Jesuiten fiel auf fruchtbaren Boden: Bereits 1722 begannen die Bruderschaften damit , auf einer Anhöhe westlich des Marktes einen neuen Kalvarienberg mit einem Kreuzweg zu errichten – für die Gläubigen dieser Zeit war es besonders wichtig, das Leiden Jesu Christi anhand der einzelnen Kreuzwegstationen nacherleben zu können.
Dieses Projekt muss für Leonhard Strässl, der vermutlich weder lesen noch schreiben konnte, besonders eindrucksvoll gewesen sein. Denn den Kreuzweg errichteten nicht hochgestellte Persönlichkeiten, sondern Leute wie er – aus tiefer Glaubensüberzeugung und unter größten Anstrengungen. Besonders mit den Holzreliefs von Johann Michael Doser, die das Leiden Jesu Christi plastisch zeigen, konnte sich Strässl identifizieren: Womöglich hat er die Last des Kreuzes mit seiner täglichen schweren Arbeit verglichen und erlebte einen Trost in der Betrachtung der Bilder. Das Engagement der Schnaittacher Bruderschaft ließ ihn nicht spüren, dass er ein minderes Mitglied der Gesellschaft war, ein Heimatloser ohne Frau und Kinder und ohne Bildung. Das gemeinsame Gebet und die eindrucksvollen Messfeiern wurden ihm ein neues Zuhause.
Als der Bau der Festung 1740 wegen des Österreichischen Erbfolgekrieges vorerst eingestellt wurde, ging Leonhard Strässl nicht in sein Heimatdorf zurück. Das Schnaittacher Armenhaus nahm den wahrscheinlich kranken Mann auf. Ein Vermerk in den Schnaittacher Bruderschaftsrechnungen hat den Rothenberger Tagelöhner vor dem Vergessen bewahrt: Es bestätigt, dass der 1740 gestorbene Leonhard Strässl seine ganzen Ersparnisse der Bruderschaft vermacht hat – zur Errichtung des Prozessionsweges und der Kapelle auf dem Kalvarienberg. Als letzter Rothenberger Tagelöhner wurde Strässl auf dem Johannisfriedhof beerdigt.