Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen!
1.
Weihnachten ist sicher das romantischste, und schönste Fest der Christenheit, ja der ganzen Menschheit. Viele, viele empfinden es so, aber auch längst nicht alle. Für viele Kranke, Leidtragende, Kriegs- und Katastrophengeschädigte oder –bedrohte ist dieses Fest sogar besonders schwierig. Auch an sie müssen wir denken, im Gebet und in der Tat. Aber ich hoffe, dass Sie, liebe Mitchristen, ihre Familien und Angehörigen, ein gesegnetes, frohmachendes, entspannendes und friedliches Weihnachtsfest 2002 feiern und erleben können. Ich wünsche es Ihnen von ganzem Herzen.
2.
In theologischer und liturgischer Sicht ist Weihnachten aber ganz anders als unser eben umrissenes Empfinden. Weihnachten, ist eines der inhaltsreichsten und spannungsreichsten Feste der Christenheit. Wir können es miterleben oder zumindest erahnen. Heute Nacht war Stille und Kerzenschein, Demut und Schlichtheit, Geburt und neues Leben, Kind und Familie, Gäste und Liebe im Stall von Bethlehem „angesagt“. Die ganze Liturgie, besonders auch die Schrifttexte der Heiligen Nacht atmen diese Stimmung. Jetzt aber im „Hochamt der Weihnacht“ klingt alles anders, die Heilige Nacht scheint vergessen. Jetzt wird uns im Prolog des Johannesevangeliums Jesus Christus als das wahre Licht, als das machtvolle Wort Gottes vorgestellt: Ein wirklich inhaltsschwerer Text, mit dem das Johannesevangelium beginnt und der uns, seit sich die Liturgie der Kirche gebildet hat, im Weihnachtshochamt verkündet wird.
Und im Hebräerbrief wird Jesus als der endgültige Prophet vorgestellt, Gott gleich und über alle Engel erhaben. An ihm kommt keiner vorbei und keiner darf an IHM vorbeigehen, denn es geht um Heil oder Unheil des eigenen Lebens und um das der ganzen Menschheit. Mit und in und durch Jesus Christus ist den Menschen alles geoffenbart, was Gott je und immer der Menschheit zu sagen, zu gebieten und zu verheißen hat.
Wenn man noch den 2. Feiertag, den Gedenktag des heiligen Stephanus, des Erstmärtyrers der Kirche dazunimmt, ist die Spannung des Weihnachtsfestes auf dem Höhepunkt. Das kleine Kind der Heiligen Nacht, so lieb und hold, wird zum „Sol invictus“ zur bestechenden und unbesiegbaren, aber auch alles offenbarenden Sonne und es macht Märtyrer. Es fordert eine solche radikale Zustimmung und Gefolgschaft, die auch vor dem Martyrium nicht zurückschrecken darf. Ein paar Stunden nach der romantischen Heiligen Nacht ist in der Liturgie helllichter Tag und grelles Licht und morgen werden wir mit den Konsequenzen konfrontiert. Das ist die ganze Weihnacht, inhaltsschwer und spannungsreich.
3.
Liebe Schwestern und Brüder! Weihnachten ist nur dann Weihnachten, geweihte, Heilige Nacht und nicht süßliche Romantik, wenn diese Spannung gesehen und gelebt wird. Gott hat seinen Sohn, seinen Propheten, sein Wort, sein Licht, sein Leben als Mensch, als Kind wie du und ich in die Welt gesandt. Aber dieses Kind ist und bleibt auch als solches Gott und Gottes endgültiges Angebot an uns. Weihnachten ist kein Spiel, sondern Ernst. Weihnachten ist kein sanftes Ruhekissen, sondern fordert Entscheidung. Weihnachten ist endgültiges Ja Gottes zum Menschen, das das endgültige Ja des Menschen zu Gott fordert, gegebenenfalls bis zum Martyrium.
4.
Da findet auch der Dialog der Religionen seine Grenzen und seine eigentlichen Tiefe. „Ob Jude, ob Christ, ob Hottentotte, sie glauben alle an einen Gott“, zieht auch an Weihnachten nicht. Auch die Kaufhaus- oder Auswahlreligion, Patchworkreligion, wie man neudeutsch heute sagt, hat hier keinen Platz. Ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Mohammed, ein bisschen Jesus, ein bisschen rationale Freimaurerei und ein Quäntchen Aberglaube mit Wahrsagerin, Steine befühlen etc. gut gemixt oder hintereinander, ist mit Weihnachten nicht zu vereinbaren. An Weihnachten beginnt viel mehr und vollendet sich, das Heilsdrama Gottes mit dem Menschen. Die unbesiegbare Sonne scheint. An Weihnachten wird zwischen Tag und Nacht, Licht und Dunkel geschieden. Das Wort, nicht irgendein Wörtchen, das zum Leben weckt oder tötet, ist in der Welt. Der, der geboren wurde im Stall war wirklich Gottes Sohn und nicht ein mehr oder weniger großer Prophet wie es auch die 19. Sure des Koran lehrt. Sie bestätigt die Jungfrauengeburt Christi, aber lehnt radikal ab, dass er Gottes Sohn und der endgültige Prophet ist. Das ist im Koran Mohammed. Für uns aber, ist Jesus Christus der Messias, der Prophet, der Sohn Gottes. Es geht um alles oder nichts. „Heute lege ich dir vor Leben oder Tod, Heil oder Unheil“, was Mose den Israeliten sagte, das ist an der Geburt Christi Weiblichkeit. Weihnachten ist die Ouvertüre einer Oper, in der alles schon anklingt, was dann in den folgenden Akten ausgefaltet wird. Weihnachten ist der Prolog zum großen Drama Gottes mit den Menschen, das mit dem neuen Himmel und der neuen Erde für alle enden soll. Dort wird der Weihnachtsgesang „Ehre sei Gott und Friede den Menschen“ ohne End erklingen.
5.
Worum es an Weihnachten geht, liebe Mitchristen, machen weniger „Stille Nacht“ und „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Jingle bells“ deutlich, sondern die großen Gesänge der Kirche. Zu Weihnachten gehört das „Gloria in Exelsis Deo et in terra pax hominibus. Dieser Text und die Vertonungen, seit der Gregorianik über Haydn, Mozart und Bruckner bis Hufeisen und Petr Eben zeigen die Größe und Bedeutsamkeit der Weihnacht deutlicher als die meisten unserer Weihnachtslieder. Auch die großen Komponisten, wie z. B. Bach im „Weihnachtsoratorium“ und Händel im „Messias“ lassen erfahren, worum es an Weihnachten geht: Um den Gott, den wir loben, preisen, anbeten und verherrlichen müssen. Dieser Gott neigt sich uns zu, um uns aus Kleinkram, Kleinmut und Kleinkrieg herauszuholen. Um uns groß zu machen vor uns selber, „Mensch erkenne deine Würde“, hat der heilige Papst Leo an Weihnachten den Christen in Rom zugerufen. Gott will uns groß machen vor sich „einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen: Deine göttliche Würde wurde ein sterblicher Mensch und wir sterblichen Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben“ so heißt es in der Präfation. Groß sollen wir sein in Frieden und in der Liebe, groß im Wirken für andere, groß in der Freude. Das alles will und soll geschehen durch Jesus Christus, den menschgewordenen Gott. Deshalb ruft das Gloria im zweiten Teil litaneihaft schon dieses Kind an, „Erbarme dich“, „Nimm an unser Flehen“ und noch einmal „Erbarme dich“.
Weihnachten ist die große Herausforderung Gottes an uns, gehen wir auf sie ein, damit wir groß werden und vor Gott dem „solus sanctus, solus dominus, solus altissimus“, „dem allein Heiligen“, „dem alleinigen Herrn“, „dem allein Allerhöchsten“. Der Mensch, der vor diesem großen Gott, der voll Erbarmen ist, lebt und stirbt, dem ist Frieden im Leben und im Sterben. So wie Stephanus, der den Himmel offen sah und Christus zur Rechten des Vaters sitzen. Er hatte für diesen Jesus, Gottes Sohn gewirkt zu seinen Lebzeiten. Er konnte für seine Steiniger bitten, „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. ER konnte im Sterben seinen Geist in Gottes Hände empfehlen“.
6.
Weihnachten, liebe Schwestern und Brüder, ist wie die Ouvertüre einer großen Oper und wie der Prolog eines großen Dramas Gottes mit uns Menschen. Liebe Schwestern und Brüder! Nehmen wir die ausgestreckte Hand des Kindes in der Krippe an. Gott ist deshalb so klein geworden, damit er uns seine Hand in unsere Verhältnisse hinein entgegenstrecken kann und damit wir uns trauen können, seine Hand zu ergreifen. Aber dann müssen wir nicht Jesus Christus führen wollen, wir müssen uns von ihm führen lassen, der unbesiegbaren Sonne, dem Wort Gottes, dem Leben. Und wir müssen zur Treue bereit sein im Leben und im Sterben, das ist Weihnachten. Lassen wir uns so auf dieses Fest ein. So wird es wirklich ein gesegnetes Fest, ein gnadenreiches Weihnachten.